Digitale Barrierefreiheit als unterschätzter SEO-Faktor: Wie Onlinemarketer das BFSG für sich nutzen können
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist in aller Munde. Für viele Unternehmen, insbesondere im E-Commerce und bei digitalen Dienstleistungen, steht es für eine gesetzliche Pflicht, die ab dem 28. Juni 2025 mit hohem Aufwand umgesetzt werden muss. Doch die Sichtweise, Barrierefreiheit sei nur eine lästige regulatorische Hürde, ist kurzsichtig und verkennt die strategischen Chancen, die sich daraus für das Online-Marketing ergeben.
Ein Fachartikel von Henryk Lippert (Geschäftsführer des auf digitale Barrierefreiheit spezialisierten Anbieters SiteCockpit)
Inhaltsverzeichnis
-
Mehr als nur Gesetzeskonformität: Der wirtschaftliche Wert von Inklusion
-
Die Symbiose von Barrierefreiheit, SEO und Usability
- Semantisches HTML konsequent einsetzen
- Bilder mit aussagekräftigen Alt-Texten versehen
- Kontraste und Schriftgrößen optimieren
- Videos und Audios barrierefrei gestalten
- Formulare klar und verständlich aufbauen
- Eine logische Tastatur-Navigation implementieren
- Regelmäßige Überprüfung der Barrierefreiheit
- Fazit
Dieser Artikel beleuchtet die tiefgreifenden Zusammenhänge zwischen Barrierefreiheit und der Performance von Websites. Anhand von Daten, praxisnahen Beispielen und konkreten Handlungsempfehlungen wird aufgezeigt, warum Barrierefreiheit ein entscheidender Hebel für nachhaltiges Wachstum ist und wie Online-Marketing-Manager diese Entwicklung für sich nutzen können.
Mehr als nur Gesetzeskonformität: Der wirtschaftliche Wert von Inklusion
Die Notwendigkeit der Barrierefreiheit ist in erster Linie eine soziale und ethische. Doch für Unternehmen ist sie auch eine klare wirtschaftliche Chance. In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt über 7,9 Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Schwerbehinderung. Weltweit wird die Kaufkraft dieser Gruppe auf über 8 Billionen US-Dollar geschätzt. Wer seine digitalen Angebote nicht barrierefrei gestaltet, schließt sich freiwillig von einem bedeutenden Marktsegment aus.
Die Relevanz geht jedoch weit über diese Kerngruppe hinaus. Der demografische Wandel führt dazu, dass die Zielgruppe der über 60-Jährigen kontinuierlich wächst. Laut Destatis wird die Anzahl der über 60-Jährigen bis 2035 um rund vier Millionen ansteigen. Diese „Silver Surfer“ sind digital affin und kaufkräftig, leiden aber zunehmend an altersbedingten Einschränkungen wie nachlassendem Sehvermögen oder motorischen Problemen. Barrierefreie Gestaltungselemente wie hohe Kontraste, große Schriftarten und einfache Navigation kommen dieser Zielgruppe direkt zugute und minimieren die Abbruchraten.
In der Praxis zeigt sich, dass Barrieren im Internet nicht nur Menschen mit Behinderung frustrieren, sondern alle Nutzer. Eine umständliche Navigation, schlecht lesbare Schrift oder unklare Formulare schrecken jeden potenziellen Kunden ab. Unternehmen, die in die Barrierefreiheit investieren, verbessern also nicht nur ihre soziale Verantwortung, sondern auch direkt ihre User Experience (UX) für alle Nutzer.
Die Symbiose von Barrierefreiheit, SEO und Usability
Die Algorithmen von Google und anderen Suchmaschinen haben sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Der Fokus liegt nicht mehr nur auf Keywords, sondern auf der Nutzerzentrierung. Websites, die eine hohe Verweildauer und eine niedrige Absprungrate aufweisen, werden als qualitativ hochwertig eingestuft und im Ranking bevorzugt. Genau hier schneiden sich Barrierefreiheit und SEO.
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), die als internationaler Standard für Barrierefreiheit gelten, sind in ihren Grundprinzipien identisch mit den Anforderungen an eine moderne, nutzerfreundliche Website. Wer eine Website nach den WCAG-Prinzipien gestaltet, erfüllt damit unbewusst die wichtigsten Ranking-Faktoren von Google.
- Wahrnehmbarkeit:Sind die Inhalte für alle Nutzer erfassbar?
- SEO-Relevanz:Gut strukturierte Inhalte (mit H1-H6-Tags), Alt-Texte für Bilder und Transkripte für Videos ermöglichen es Suchmaschinen, den Kontext Ihrer Inhalte besser zu verstehen und zu indexieren.
- Bedienbarkeit:Können die Inhalte mit verschiedenen Eingabegeräten gesteuert werden?
- SEO-Relevanz:Eine Website, die vollständig per Tastatur navigierbar ist, ist auch für Suchmaschinen-Crawler leicht zu crawlen. Die mobile Optimierung, die für Barrierefreiheit unerlässlich ist, ist ein kritischer Ranking-Faktor.
- Verständlichkeit:Sind die Inhalte leicht zu verstehen und ist die Navigation intuitiv?
- SEO-Relevanz:Eine klare, konsistente Navigation und lesbare Texte reduzieren die Absprungrate und erhöhen die Verweildauer – beides starke Nutzersignale.
- Robustheit:Ist der Code so aufgebaut, dass er von allen gängigen Browsern und assistiven Technologien interpretiert werden kann?
- SEO-Relevanz:Ein sauberer, fehlerfreier und semantisch korrekter Code ist die technische Grundlage für eine schnelle Ladezeit und eine reibungslose Funktionsweise, die für Google unerlässlich ist.
Von der Theorie zur Praxis: 7 Maßnahmen zur Optimierung
Die Umstellung auf Barrierefreiheit muss nicht kompliziert sein. Online-Marketing-Manager und Website-Betreiber können mit diesen sieben konkreten Maßnahmen sofort beginnen, die Zugänglichkeit und gleichzeitig die SEO-Performance zu verbessern.
1. Semantisches HTML konsequent einsetzen
Ein semantischer Code ist das Fundament. Verwenden Sie die korrekten HTML-Tags (<h1> für die Hauptüberschrift, <nav> für die Navigation, <article> für den Blogbeitrag) in der richtigen Reihenfolge. Dies hilft Screenreadern, die Hierarchie der Inhalte zu verstehen, und gibt Suchmaschinen gleichzeitig einen klaren Bauplan Ihrer Website.
2. Bilder mit aussagekräftigen Alt-Texten versehen
Der Alt-Text ist eine einfache, aber wirkungsvolle Maßnahme. Er beschreibt den Inhalt eines Bildes für sehbehinderte Nutzer. Für SEO ist er entscheidend, um die Relevanz des Bildes für die Bildersuche zu signalisieren und den Kontext der Seite zu stärken. Eine optimierte Beschreibung erhöht die Chance auf gute Rankings in der Google Bildersuche.
3. Kontraste und Schriftgrößen optimieren
Achten Sie auf einen hohen Farbkontrast zwischen Text und Hintergrund, um die Lesbarkeit zu gewährleisten. Die WCAG empfiehlt hier ein Kontrastverhältnis von mindestens 4,5:1. Überprüfen lässt sich das ganz einfach mit einem Tool wie dem WebAIM Contrast Checker. Eine ausreichend große Schriftgröße ist ebenfalls essenziell. Beide Maßnahmen verbessern die Lesbarkeit für jeden Nutzer und tragen zu einer besseren User Experience bei, was sich positiv auf die Verweildauer auswirkt.
4. Videos und Audios barrierefrei gestalten
Multimediale Inhalte sind wichtig für das Content-Marketing. Machen Sie sie für alle zugänglich: Fügen Sie Videos und Audios Transkripte oder Untertitel hinzu. Das ist nicht nur essenziell für Menschen mit Hörbehinderung, sondern ermöglicht auch Suchmaschinen, den Inhalt der Dateien zu verstehen und zu indizieren.
5. Formulare klar und verständlich aufbauen
Formulare sind im E-Commerce und bei der Lead-Generierung der Dreh- und Angelpunkt. Jedes Eingabefeld muss über ein assoziiertes <label>-Element eine sichtbare Beschriftung haben. Klare Fehlermeldungen, die genau beschreiben, was falsch gelaufen ist, minimieren die Abbruchraten und erhöhen die Conversions.
6. Eine logische Tastatur-Navigation implementieren
Eine Website, die sich vollständig und logisch nur mit der Tastatur bedienen lässt, ist nicht nur für Menschen mit motorischen Einschränkungen wichtig. Auch Suchmaschinen-Crawler navigieren Ihre Website über Links und Buttons. Eine klare Tastatur-Navigation, bei der die Elemente in einer sinnvollen Reihenfolge liegen, sorgt für ein reibungsloses Crawling.
7. Regelmäßige Überprüfung der Barrierefreiheit
Barrierefreiheit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Automatisierte Tools können einen ersten Überblick über die Zugänglichkeit einer Website geben, indem sie grundlegende Fehler wie fehlende Alt-Texte oder unzureichende Kontraste aufspüren. Für eine tiefgreifende Prüfung ist eine manuelle Überprüfung durch Experten unerlässlich. Eine erste einfache Prüfung der grundlegenden Barrierefreiheit von Websites kann ein spezialisiertes Tool wie der Livecheck auf Barrierefreiheit von SiteCockpit sein, der technische Fehler und Potenziale zur Optimierung aufzeigt.
Fazit
Die Integration digitaler Barrierefreiheit in die Marketingstrategie ist kein Kompromiss, sondern eine Win-Win-Situation. Sie ermöglicht es Unternehmen, neue, kaufkräftige Zielgruppen zu erschließen, die allgemeine Usability zu verbessern und gleichzeitig die technischen Grundlagen für ein besseres Suchmaschinen-Ranking zu legen. Wer Barrierefreiheit als strategischen Vorteil und nicht als lästige Pflicht begreift, positioniert sich als zukunftsorientierte, ethische und wettbewerbsfähige Marke. Das BFSG ist somit weniger eine Hürde als vielmehr eine Chance für nachhaltiges Wachstum im digitalen Raum.
Über den Autoren
Henryk Lippert ist Geschäftsführer des auf digitale Barrierefreiheit spezialisierten Anbieters SiteCockpit. SiteCockpit ist eine in Deutschland entwickelte Plattform für digitale Barrierefreiheit, die Unternehmen, Behörden und Organisationen dabei unterstützt, ihre Webangebote gesetzeskonform, benutzerfreundlich und inklusiv zu gestalten. Vor dem Hintergrund des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG), das ab dem 28. Juni 2025 zahlreiche Betreiber digitaler Angebote in die Pflicht nimmt, bietet SiteCockpit praxisnahe und sofort einsetzbare Lösungen zur Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen.